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Ein Vater, so explosiv wie Louis de Funès

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Von welcher immens populären französischen Comiczeichnerin gibt es keine deutsche Buchausgabe? Von Florence Cestac. Den Namen haben Sie noch nie gehört? Ja, eben deswegen – kein deutsches Verlagsinteresse. Dabei wären Zeit und Ruhm genug gewesen. Die 1949 geborene Cestac gründete schon im Alter von Mitte zwanzig gemeinsam mit ihrem damaligen Lebenspartner Étienne Robial einen der wichtigsten Comic-Autorenverlage in Frankreich, die Édition Futuropolis. Unter den Autoren ihrer Verleger-Ägide, die bis 1987 währte, als der Gallimard-Buchkonzern das Juwel übernahm, waren Tardi, Bilal, Baudoin, Stanislas, Menu, aber auch übersetzte Klassiker-Ausgaben wie „Krazy Kat“, „Terry and the Pirates“ oder „Popeye“.

Das Erscheinen der letzteren Serie darf man im buchstäblichen Sinne bezeichnend nennen, denn Cestac ist eine Bewunderin des Stils von E.C. Segar. Sie gilt selbst als Meisterin der gros nez, der großen Nasen, also jenem klassischen Cartoon-Stil, für den „Popeye“ ein Musterbeispiel ist. Cestacs wunderbare Homepage https://cestac.com/cmoi.html zeigt, was sie daraus gemacht hat. Man könnte sie graphisch das deutsche Äquivalent zu Ralf König nennen, nur ist sie schon viel länger mit diesem Kunstgriff im Geschäft. Auch ihre ersten eigenen Alben mit Sammlungen der humoristischen Serie „Mickson“, die sie für diverse französische Comicmagazine – darunter die wichtigsten: „Écho de Savannes“, „Métal hurlant“, „(À suivre)“ – gezeichnet hatte, erschienen Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger bei Futuropolis.

Im Jahr 2000 erhielt Florence Cestac den Großen Preis von Angoulême, die renommierteste Comic-Auszeichnung der Welt, überhaupt erst als zweite Frau nach Claire Bretécher – und seitdem folgte ihr mit der japanischen Mangaka Rumiko Takahashi nur eine einzige weitere Preisträgerin nach. Darauf ist Cestac einerseits stolz und andererseits darüber empört. Denn Feminismus ist eines ihrer großen Themen. Und mit Marjane Satrapi, Zeina Abirached oder Catherine Meurisse stünden allein in Frankreich gleich drei große Künstlerinnen als würdige Nachfolgerinnen in Angoulême parat, die eines ganz sicher verbindet: die Bewunderung für Florence Cestac. Für deren Gnadenlosigkeit in Gesellschafts- und individuellen Porträts, die aber immer hochamüsant zu lesen sind.

Ihr schönstes Album war für mich lange Zeit „Je voudrais me suicider mais j’ai pas le temps“ (Ich würde mich gern umbringen, habe aber keine Zeit dafür), eine von ihr gezeichnete und von Jean Teulé geschriebene Comicbiographie des 2005 früh gestorbenen Kollegen Charlie Schlingo. Auch höchst lesenswert ist „La véritable histoire de Futuropolis“, erschienen 2007. Darin erzählte sie die eigene Verlagsgeschichte, und das ohne Bitterkeit gegen Robial, der sie (und den gemeinsamen Sohn) privat verlassen hatte, nachdem die gemeinsame Verantwortung für den Verlag hinfällig geworden war.

Seitdem wusste man, was für eine grandiose Autobiographin Cestac ist. Und nun, fast anderthalb Jahrzehnte nach der Futoropolis-Reminiszenz, hat sie einen weiteren solchen Band veröffentlicht: „Un Papa, une Maman – une famille formidable (la mienne)“ über die eigene Familiengeschichte. Die gerade mal zweiundfünfzigseitige Handlung ist jedoch auch ein Porträt der Boomzeit der „trente glorieuses“, jener drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, die in Frankreich als die beste Zeit des Landes seit der Belle Époque gilt. Mittendrin: Familie Cestac, er ein Ingenieur aus dem französischen Südwesten, sie eine Hausfrau aus der Normandie, dazu drei Nachkriegs-Kinder (Florence das mittlere). Und alles unter dem Motto „C’est moi le chef de famille et je m’occupe de tout“. Diesen Alleinherrschaftsanspruch erhebt Jacques Cestac schon im vierten Bild des Albums. Aufgeben wird er ihn erst auf dem Totenbett fünfzig Jahre später.

Auch die eigene Familie ist natürlich im unverkennbaren Cestac-Stil gehalten, wie die achtseitige Leseprobe des Verlags Dargaud zeigt (https://www.dargaud.com/bd-en-ligne/un-papa-une-maman-une-famille-formidable-la-mienne/10188/40d3ba7d1125659520c71a6460e446e3) – die Göre, als die Florence Cestac sich selbst darstellt, hätte gerade in ihren frühen Comics Glanzauftritte haben können. Mehr aber noch der cholerische Vater, ein patriarchalischer Despot, wie er im Buche steht – und nun auch im Comic. Es geht der Familie wirtschaftlich gut, aber für die beiden Töchter und vor allem die Mutter Camille gibt es keine Freiheiten. Im Bild der Cestacs spiegelt sich jene Epoche, die bei uns auf den Begriff „Adenauerzeit“ hört.

Wie sich Florence daraus befreit und was das für Konsequenzen für den häuslichen Frieden hat, ist das große Thema des Buchs. Man merkt, wie sehr die Zeichnerin, die in Interviews ihre eigene Jugend bislang immer als eine „glückliche und fröhliche“ beschrieben hatte, hier ein Trauma aufarbeitet: das des begabten, aber missachteten Kindes. Neben den Cestacs treten im Comic kaum einmal andere Menschen unter individuellen Namen auf; am auffälligsten ist das im Falle von Robial, der im Erzähltext nur mit jenen abfälligen Kategorien bezeichnet wird, die Florence’ Vater für ihn hat. Allerdings darf man darin wohl eher Spott über Jacques Cestac sehen als Rache an Étienne Robial.

Der Band ist ein Wunder an Witz und humoristischem Expressionismus. Vater Cestac steht ständig vor dem Überkochen: ein Typ wie Louis de Funès, dessen Kinofilme er seinen Kindern empfiehlt, ohne zu merken, wie sehr er sich damit selbst der Lächerlichkeit preisgibt. Und der Band ist auch ein Wunder an Mitleid mit Camille Cestac, die sich nie von ihrem tyrannischen Mann hat lösen können. Dass die Tochter für beide Eltern Liebe empfand, zeigt der Abschluss des Buchs. Der zeigt aber auch, dass sie dem Vater dessen Verhalten nicht verziehen hat.

Florence Cestac ist jetzt zweiundsiebzig. Höchste Zeit für eine erste deutsche Publikation. Wenn es nicht „Ein Papa, eine Mama – eine vorbildliche Familie (die meine)“ wird, auf was wollen deutschen Verlage dann eigentlich noch warten?

 

 

von andreasplatthaus erschienen in Comic ein Blog von FAZ.NET.


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